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Mental Load ...


Laßt uns doch mal über den Tellerrand schauen - nach Frankreich!

In meinem Bücherschrank steht ein Klischee-Buch mit dem Titel „Warum französische Kinder keine Nervensägen sind“.


Florence, Du lebst als Deutschfranzösin mit Deiner Familie in Bordeaux, hast zwei Kinder und einen Mann dazu.


Erzähl doch mal: Gibt es Unterschiede zwischen dem vermeintlich deutschen Mental Load und dem französischen?!


Tatsächlich gibt es viele Gemeinsamkeiten, aber auch einige Unterschiede. Zu erst einmal vor weg: alle französischen Kinder, die ich kenne, sind zwischendurch auch ziemliche Nervensägen. Genau wie alle anderen Kinder dieser Welt ;-) Die Gemeinsamkeiten, die ich beobachten kann, sind erhöhte Belastungen durch Haushalt, Kochen, Organisation von Kinderbetreuung und sozialem Leben, die fast ausschliesslich bei der Mutter landen.

Laut der Autorin des Buches ist das Erziehungs-Geheimnis der Franzosen der "Cadre", ein klarer Rahmen, in welchem die Kinder viele Freiheiten geniessen. Das heisst: klare Ansagen der Eltern, die bei Missachtung mit Strafen durchgesetzt werden, fixe Essenszeiten, häufig frühe Betreuung durch Drittpersonen und somit auch die Flaschennahrung. Das kann ich bei vielen auch auch so ähnlich beobachten, dennoch sehe ich eine klare Tendenz hin zu mehr Bedürfnisorientierung. Die Anzahl stillender Mütter steigt seit 20 Jahren, ab 2021 wird der Vaterschaftsurlaub von 11 auf 28 Tage nach der Geburt erhöht, der Begriff "éducation positive" ist in aller Munde und seit 2019 ist jeder Klaps auf den Po per Gesetz verboten.

Dieser strikte Rahmen und "anständige" Kinder sind aber vor allem der Generation meiner Schwiegereltern wichtig. In meiner Generation werden immer mehr Stimmen laut nach der "éducation bienveillante", also nach einer liebevollen, positiven und wohlwollenden Erziehung. Das zeigt sich in Newslettern mit lauter umsetzbaren Tipps zur beziehungsorientierten Erziehung, die ich von der Familienkasse erhalte. Durch Ratgeber wie "Cool Parents make Happy Kids" die unter Eltern am Spielplatz ausgetauscht werden. Bei meiner Kinderärztin, die vom Schreien lassen strikt abrät. Das sehe ich auch täglich im Kindergarten, wo sich viele Eltern die Zeit für ihre Kinder nehmen.


Es gibt in Frankreich ein paar strukturelle und gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die den Mental Load etwas erleichtern: Es gibt die Familienkasse, die finanzielle Ausfälle bei der Elternzeit übernimmt und einen grossen Anteil der Betreuungskosten übernimmt, es gibt per Gesetz bis zu 3 Jahren Elternzeit und ein Recht auf 1h mehr (bezahlte) Pause für stillende Mütter im Arbeitsverhältnis. Das macht es den Frauen leichter, wieder (Teilzeit) ins Berufsleben einzusteigen, wenn sie es wünschen.

Gesellschaftlich sind Kinder besser akzeptiert, finde ich. In fast jedem Restaurant gibt es Kindermenüs, Wickeltische und Kindersets zum Ausmalen und überall gibt es viele Spielplätze. Als wir letztens mit dem Zug gefahren sind, hat sich der Schaffner 5 Minuten Zeit für unsere Dreijährige genommen, ihr seine Mütze aufgesetzt und ihr Malsachen gebracht. Neben unserem Abteil war ein Wickelraum mit Waschbecken und Desinfektionsmittel. Es macht das Leben leichter, wenn Kinder überall willkommen sind.

Den Begriff „Rabenmutter“ gibt es im französischen nicht ; Fremdbetreuung ist relativ normal. Haben Französinnen trotzdem - oder gerade deshalb - auch/genau so viel / weniger/mehr mit dem Mental Load zu kämpfen?


Das Thema Mental Load ist hier durchaus auch präsent. 40% der Mütter der Vorschulkinder arbeiten Vollzeit. Manche, weil sie es so wählen und andere, weil sie Geld verdienen müssen. Zumindest ist die finanzielle Last durch Gehaltseinbussen oder Karriereeinschränkungen geringer als in Deutschland. Die Betreuungsmöglichkeiten sind auch sehr vielfältig, es gibt ein grosses Angebot von Krippen und Tagesmüttern. Wir konnten zum Beispiel zwischen 5 Tagesmüttern auswählen. Wir haben uns für eine Tagesmutter entschieden, die unser Kind im Tragetuch trägt, die ihr meine Milch gibt und die einen liebevollen Ton mit den Kindern pflegt. Inzwischen ist sie ein Teil der Familie und wirklich nicht mehr "fremd". Es war mir wichtig, nach 6 Monaten Babypause mein Business in Teilzeit wieder aufzunehmen und ich bin dankbar, dass sie ein Teil meines "Dorfes" ist. Ohne sie könnte ich nicht die Arbeit machen, die AUCH für mich wichtig ist.

Unterstützung bei der Kinderbetreuung mindert natürlich die mentale und emotionale Last. Die Mutter muss nicht rund um die Uhr für alles und jeden verantwortlich sein. Die Mütter in Frankreich nehmen die Unterstützung an und das, finde ich, tatsächlich mit weniger schlechtem Gewissen als die deutschen Mütter. Deshalb gibt es auch diesen Begriff "Rabenmutter" nicht. Dennoch sind die meisten Französinnen für das Abendessen, die Hobbies und Arztbesuche zuständig. Sie bleiben auch mittwochs mit den Kindern zu Hause, denn da sind die Kitas und Schulen zu.

Die Zeichnerin EMMA ist Französin und hat als Erste mit ihrem Buch "You should've asked“ das Thema Mental Load auf den Punkt gebracht.

Ist ihr Buch in Frankreich genauso populär, wie in Deutschland?


Absolut und ich denke, dass es vielen Müttern hier geholfen hat, den Status Quo in Frage zu stellen. Emma leistet sehr wichtige Aufklärungsarbeit. Es gibt einfach keinen Grund, weshalb Mütter alle zusätzlichen Aufgaben übernehmen müssen. Es gibt keine genetische Veranlagung, die uns besser spülen oder aufräumen lässt. Der Lockdown hat diese Ungleichheiten auch nochmals verstärkt. In Frankreich ist jede fünfte Frau zu Hause geblieben, um sich um das Homeschooling, den Haushalt und die Mahlzeiten zu kümmern, weil die zusätzliche Arbeit zu gross war. Auch wenn es mehr Betreuungseinrichtungen und gesellschaftlichen Konsens über Frauen im Beruf gibt, wird dennoch das Gehalt der Frau als "Zusatz" gewertet.


… und die französischen Männer?


Welche meinst du jetzt, die Rabenväter? Ach ne, diesen Begriff gibt es ja garnicht! Spannend, oder? ;-)

Nicht sehr viel anders als in Deutschland, würde ich behaupten. Ein Unterschied, der mir einfällt, ist dass die Männer hier gerne kochen. Allerdings bevorzugt am Wochenende ;-) Wir hatten auch tatsächlich die Situation, dass mir mein Partner "Hilfe" angeboten hat. Inzwischen haben wir unsere Organisation geändert und die Aufgaben im Haushalt klar verteilt. Ich musste allerdings auch loslassen, dass manche Dinge nicht so gemacht sind, wie ich es gerne hätte. Aber sie sind gemacht ;-)


Letztendlich ist es eine Tatsache, dass sich die mentale Last durch die Ankunft eines Kindes erhöht, egal in welchem Land. Ob man nun zu Hause bleibt oder arbeiten geht, die zusätzlich anfallenden Aufgaben übernehmen auf beiden Seiten des Rheins überwiegend die Mütter. Deshalb dürfen wir, wenn möglich, ohne schlechtes Gewissen mehr abgeben und dürfen uns an dieser Stelle auch mal feiern, für den super Job, den wir da täglich wuppen.


Chapeau meine Liebe!

Florence Chazarenc

Sparkle Marketing Solutions

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